14. KAPITEL
»Wie lange brauchten Sie für Ihre Entscheidung, dieser Einheit beizutreten?« erkundigte sich Ami.
»Etwa eine Woche. Der General war sehr offen zu mir gewesen. Er hatte mir gesagt, dass ich gelegentlich gegen die Gesetze verstoßen würde. Das machte mir Sorgen.«
»Aber Sie haben sich trotzdem dafür entschieden?«
»Ich war jung. Der elitäre Status der Einheit faszinierte mich. Und dann war da noch Wingate selbst. Sie können sich nicht vorstellen, was die Anerkennung dieses Mannes für mich bedeutete. Ich war begeistert, dass er meine Fortschritte verfolgt und mich für diesen Spezialauftrag ausgewählt hatte. Ich konnte ihn unmöglich enttäuschen.«
»Was passierte, nachdem Sie sich bei Wingate gemeldet hatten?«
»Etwa einen Monat lang gar nichts. Dann wurde ich zur Sprachenschule der Army nach Fort Meyer, Virginia versetzt. Ich wohnte außerhalb des Stützpunktes in einem Apartment. Ich lernte Thailändisch und Vietnamesisch. Ich brauchte die Flexibilität eines Studenten, denn meine Befehle kamen sehr unregelmäßig. In meiner freien Zeit hielt ich mich in Form, trainierte meine Kampftechniken und lebte ein ganz normales Studentenleben.«
»Wie haben Sie Ihre Aufträge bekommen?«
»Ich bekam einen Anruf. Entweder gab der andere an, er habe sich verwählt oder wolle sich einfach mit mir auf ein Bier verabreden. Ich fuhr zu einer vorher verabredeten Stelle, meistens spät in der Nacht, oft sogar lange nach Mitternacht. Treffpunkte waren häufig ein Motelzimmer oder ein Parkplatz in einem Einkaufszentrum. Wir haben uns niemals zweimal an demselben Ort getroffen.«
»Sie reden von Wingate?«
»0 nein, nicht der General.« Seine Miene verfinsterte sich.
»Von ihm habe ich nur einmal einen Befehl erhalten.«
»Wer...?«
»Mein Führungsoffizier war General Peter Rivera.«
»Wissen Sie, wo ich ihn finden kann? Würde er Ihnen helfen?«
Rice sah Ami ruhig an. »General Riva wurde 1986 ermordet. Die Polizei hält mich für seinen Mörder.«
»Haben Sie ihn denn getötet?«
»Nein, aber es gibt viele Beweise, die mir dieses Verbrechen anlasten.«
Ami fühlte sich unbehaglich, weil sie nicht ganz an Carls Unschuld glaubte.
»Wie sahen Ihre ersten Aufträge aus?«
»Meistens führten sie mich nach Vietnam. Von den Hinterhalten auf die Mulikarawanen habe ich Ihnen schon erzählt. Das machte ich ein paar Mal. Außerdem habe ich mehrmals nordvietnamesische Dörfer infiltriert. Zweimal habe ich mit kleinen Teams der Special Forces zusammengearbeitet, die glaubten, ich gehöre zum Phoenix-Programm. Auf einer Mission wurde ich von einem Nordvietnamesen zu meinem Ziel geführt, der für die CIA arbeitete.«
»Was haben Sie auf diesen Missionen gemacht?«
»Auf einer habe ich mit einem Präzisionsgewehr einen hohen Militär erschossen, bei den beiden anderen Aufträgen habe ich Beamte der Kommunistischen Partei eliminiert.«
»Sie haben Sie erschossen?« Carl schüttelte den Kopf. »Ich bin nachts in ihre Hütten gekrochen und habe ihnen die Kehlen aufgeschlitzt.«
Ami wurde blass.
»Mein Krieg war sehr ... persönlich, Ami. Ich habe den Männern, die ich getötet habe, ins Auge gesehen.«
»Waren Sie ... waren Sie noch in der Einheit, als sie 1986 als Deserteur gemeldet wurden?«
»Ja.«
»Aber der Vietnamkrieg hat doch einige Jahre, nachdem Sie eingetreten sind, aufgehört.«
»Die Einheit erfüllte auch nach dem Ende des Krieges noch ihre Zwecke. Die Kommunisten sind ja nicht plötzlich verschwunden. Es gab den Kalten Krieg.«
»Welche Auswirkungen hatte das auf ihre Aufträge?«
»Es wurde mehr spioniert. Ich habe vermutliche Spione beschattet. Und meine Fähigkeiten eingesetzt, um Botschaften zu verwanzen.« Rice lächelte kalt. »Ich habe sogar Kongressabgeordnete und Angehörige der Regierung der Vereinigten Staaten abgehört.«
»Amerikaner?«
Rice nickte. »Man hat mir nie erzählt, was man mit diesen Informationen anfing, die ich sammelte, aber mir fiel auf, dass einige der Senatoren oder Abgeordneten, die ich überwacht hatte, sich bei bestimmten Abstimmungen plötzlich anders verhielten oder Gesetze unterstützten, gegen die sie zuvor protestiert hatten. Ich fand es außerdem sehr interessant, dass der General Chef des AIDC blieb, ganz gleich, wer Präsident war.«
»Haben Sie jemals ... Gab es noch mehr Anschläge?«
Rice nickte.
»In Vietnam?« »Nein. Der Fokus änderte sich. Ich habe einen russischen Agenten in Madrid ermordet und einige Leute, die für die Chinesen arbeiteten.«
»Wie...?«
»Den Russen habe ich in einer Gasse hinter einer Bar erstochen. Die beiden, die für die Chinesen arbeiteten, habe ich ... erschossen.«
»Wie viele Menschen haben Sie ermordet, Carl?« »Das weiß ich nicht.« »Macht Ihnen das nicht zu schaffen?«
Carl trank einen Schluck Wasser, während er über ihre Frage nachdachte.
»Zuerst nicht, nein. Bevor wir diese elektronische Ausrüstung aus dem Marineflugzeug holten, hatte ich noch nie getötet. Während der Mission war ich so verängstigt und erschöpft, dass es aus einem bloßen Instinkt passierte, wie bei einem Tier. Dann hat das Patrouillenboot uns gerettet. Man gab mir etwas zu essen, trockene Kleidung, und ich konnte schlafen. Als ich aufwachte, ging ich an Deck. Ich erinnere mich daran, wie ich mit dem Rücken an der Wand des Steuerhauses gesessen habe. Der Dschungel war still und wunderschön. Ich fühlte mich vollkommen friedlich. Da ist mir klar geworden, dass ich mehrere Menschen getötet hatte.
Bei der Ausbildung habe ich mich gefragt, ob ich erstarren würde, aber ich war nicht in Panik geraten. Ich hatte dabei nicht einmal über das Töten nachgedacht. Ich hatte nur getan, was man mich gelehrt hatte. Die Handlung des Tötens war kein kosmisches Ereignis gewesen und hatte nichts Philosophisches an sich. In der Hitze des Gefechts ging es nur einfach um die Frage: er oder ich.«
»Aber das war im Kampf«, erklärte Ami. »Sie haben gesagt, dass sie diesen Russen getötet haben, indem Sie ... ihn erstochen haben. Und diese chinesischen Spione ... Empfinden Sie bei diesen Toten anders?«
»Sie wollen wissen, ob ich Reue empfand?«
»Ja.«
»Die Leute, die ich ermordete, waren der Feind, und es war mein Job, den Feind zu erledigen, aber ich habe es nie genossen. Ich glaubte einfach nur, das Richtige zu tun. Das half mir, mit dem klarzukommen, was ich tat. Je länger es allerdings dauerte ...« Carl machte eine Pause und starrte auf die Bettdecke. »Ich bekam Alpträume. Und Zweifel.«